Gleich zwei Rezensionen
zu diesem wunderbaren Buch sind zu vermelden und werden den Absatz ins Unermessliche steigern. Die eine erscheint demnächst in der „uz“ („unsere zeit, sozialistische Wochenzeitung“) und die andere (ist wohl schon?) im „Ossietzky“. Wir bringen heute hier erstmal die längere und bedanken uns sehr herzlich dafür:
Die Hoffnung hilft tätigen Menschen
Nachträglicher Glückwunsch zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Bernd Schirmer
Bernd Schirmers Roman Silberblick (2017) gehört zu den gelungenen und bleibenden Werken über die Geschichte der DDR und die deutsche Entwicklung um 1989. In ihm handeln Menschen, die sich ihr Leben in der DDR nach ihren Wünschen und Möglichkeiten, nach ihren Vorstellungen und Voraussetzungen einzurichten versucht hatten, Schwierigkeiten und Erfolge hatten: An dieses Leben sollte nach 1989 nichts mehr erinnern. Sogar Bücher wurden vernichtet, bei denen „allein schon der Erscheinungsort ein Makel“ war. Vernichtung und Verdrängung standen einer ominösen „Freiheit“ gegenüber, die alles und nichts umfasst, vor allem nicht die wirkliche Freiheit, die das eigene Verhalten zum gesellschaftlichen Maß macht. – Warum an den Roman erinnert wird? Bernd Schirmer hat seinen Lesern zu seinem 80., Geburtstag eine Überraschung bereitet: Erzählungen, die verstreut in Anthologien erschienen sind, wurden unter dem Titel Das leise Ticken der Sonnenuhr. Geschichten aus verflossener Zeit veröffentlicht. Der Band ist im Verlag Edition Schwarzdruck (Gransee) erschienen, der sich nicht nur um Schirmers Werk verdient gemacht hat – der neue Band ist das fünfte Buch Schirmers in dem Verlag -, sondern neben seinem vielfältigen Programm, das Grafik und anderes einschließt, auch ein Hort linken Denkens ist: Der Verlag sollte interessierten Lesern viel bekannter werden, bei ihm erschienen namhafte Autoren von Friedrich Wolf bis zu dem jüdischen Kommunisten Arthur West aus Wien, klangvolle Namen der DDR-Literaturwissenschaft wie Dieter Schiller, Ulrich Dietzel und Horst Haase veröffentlichten Erinnerungen, Gelesenes, Geschriebenes usw., unverzichtbare Zeugnisse zum Verständnis von Literatur.
Bernd Schirmers Erzählungen tangieren die Themen Freiheit, Arbeit und Hoffnung. Das hat der Autor in der Phase seines Schaffens bis 1989 gelernt und auch, dass es Mühen macht, das Angestrebte zu erreichen. Diese erste Phase wurde von einer zweiten abgelöst: Nach 1989 war er Autor von 70 Folgen der ZDF- Serie Der Landarzt; damit konnte man als Autor leben, befriedigend war es für den ästhetisch anspruchsvollen Autor nicht. In den Hintergrund trat, dass er unabhängig von der Serie als Autor wirksam und erfolgreich war. – Seine von ihm zu seinem 80. Geburtstag veröffentlichten Erzählungen sind typisch und, deshalb der Hinweis auf den Roman, sie erscheinen wie Vorarbeiten zu ihm. Selbst die schicksalhafte Konstellation – die Variante eines Lebens zu dritt – findet sich. Im Nebeneinander von Erzählungen und Roman wird Grundsätzliches des Schaffens Bernd Schirmers deutlich. Der Titel Das leise Ticken der Sonnenuhr ist typisch: Die Themen sind still und unaufdringlich, ein „leises Ticken“, sie spielen in einer Grauzone zwischen Wirklichkeit und Märchen, denn welche Sonnenuhr tickt schon. Man nimmt diese Überschreitungen als selbstverständlich an; sie gehören zur Wirklichkeit Schirmers und sind die poetischen Umsetzungen von Freiheit und Hoffnung; sie machen eine Eigenart Bernd Schirmers aus. Die Titelerzählung wird eröffnet mit „wahrscheinlich“, nicht nur ein Wort für den Autor, sondern eine Metapher. Die wird zusätzlich geprägt durch seine Ironie, die selbst bei zerstörerischen Vorgängen versucht, die Verluste begreifbar und erträglich zu halten, aber auch zur Satire werden kann. Es ist ein typisches Gestaltungsmittel Schirmers. Schließlich findet sich in Erzählungen und im Roman der Autor selbst; der autobiografische Anteil ist hoch, er wird zum historischen Bezugsfeld für Anspruch und Erfüllung, Korrekturen und Enttäuschungen, zusammengefasst im Begriff eines „sinnvollen Lebens“. – Es beginnt in der Nachkriegszeit: Im Leisen Ticken der Sonnenuhr wohnt das Kriegskind mit seiner Mutter im Wirtshaus; es sind vom Krieg in die Flucht Getriebene, der Vater ist verschollen. Verschlagen wurden sie ins Erzgebirge, in eine Wismut-Gegend. Dort versucht das Kriegskind sich in der neuen Welt zurechtzufinden, indem es die unbekannten Begrifflichkeit annimmt. Verantwortlich ist das Kind auch dafür, Frau Gyftel, die Eule, vom Bahnhof abzuholen: Sie kommt einmal wöchentlich ins Dorf, um den Bergleuten ihre Schwarz-Weiß-Fotos zu kolorieren, ein poetisches Moment. Die Welt wird für die Erinnerung verschönt. Das Kriegskind bewährt sich dabei als erfolgreicher Spieler am Automaten. Die Mutter findet einen Mann, der als Markscheider bei der Wismut arbeitet, aber Uhrmacher gelernt hat. Der baut ihm eine Sonnenuhr (27), damit sich das Kriegskind an die Zeit gewöhnen kann, an die Zeit, in der die Mutter und der Mann – Rübezahl genannt – nicht gestört sein wollen, aber mit dem Erfassen der Zeit beginnt auch die „Neue Zeit“. Damit hören die wundersamen Spiele am Automaten ebenso wie die Kolorierungen auf; Hoffnung auf das Neue, das Farbfernsehen, tritt an ihre Stelle. – In der Erzählung Der Film (1977 geschrieben, 2016 veröffentlicht) wird eine Erfahrung Schirmers benutzt, dass ein Filmszenarium nicht angenommen und erst in einer phantastisch-uninteressierten Wirklichkeit zum Film wird, aufgeführt in einem der „noch nicht abgerissenen Hinterhöfe“, in der Welt von gestern. Das wird möglich, weil die am Film Beteiligten in Anstalten, unterschiedlichen allerdings, landeten. Die Erzählung Der Film ist eine köstliche Satire. Es geht um den „Hochstapler neuen Typus“, analog zum „Menschen neuen Typs“ und um eine Lebenswelt, in der Nichtigkeiten wichtig werden, vermittelt von Sprachgestörten. Die Probleme „im real existierenden Leben“ haben sich verflüchtigt, die gestalterische Macht von Kunst und Literatur ist zur Belanglosigkeit verkommen. – Auch in Summertime (1990) will ein Arbeiter der Unvernunft, in diesem Fall der Sommerzeit, dadurch begegnen, dass er sie nicht annimmt: Er will „einfach nicht“. Aber als dann die Winterzeit kommt, widersetzt er sich erneut, alle Auseinandersetzungen beginnen von vorn, er vereinsamt, ist aber mit seinem sinnlosen Handeln ein „glücklicher Mensch“. Auch diese Erzählung, in der einer seine Freiheit lebt, wird zur Satire: Bernd Schirmer paraphrasiert Camus‘ Sisyphos –das auch in Silberblick -, den man sich als einen „glücklichen Menschen“ vorstellen soll, indem er die Welt so annimmt wie sie ist. Auch die anderen Erzählungen bedienen sich märchenhafter Elemente, sind teils heiter und lösen teils Betroffenheit, auch Schmerzen aus. War in den Erzählungen noch die Erwartung, der tätige Mensch könne verändern, so zieht der Roman das Fazit, es ist alles trostlos. Aber dabei will es Bernd Schirmer nicht belassen; deshalb ruft er seine früheren Erzählungen auf: Die schönste Erzählung Das Tandem, auch verfilmt, endet mit den auf den Tandem Fahrenden, unentwegt, auch „bergauf …. und wenn sie nicht abgestiegen sind, so fahren sie noch heute“. Das korrespondiert mit dem Ende der Erzählung Couscous, wo sich Denker aus der arabischen Welt, darunter Marxisten, beim Erzähler einfinden, auch in Zukunft: „Ich will es hoffen.“ Immer bleibt ein wenig Hoffnung und sie liegt bei dem Handeln der Menschen, die ihr Leben auf das Tätigsein für andere richten. „Ungewöhnlich“ nennt Christel Berger in ihrem Nachwort Schirmers Einfälle. Heinrich Heine und Erich Kästner haben dabei geholfen. Der Band schließt mit der märchenähnlichen Erzählung Der Holzwurm und der König (1985); das schien einst eine gewagte Vorwegnahme dessen, was 1989 geschah. Heute liest sie sich sehr aktuell.
Rüdiger Bernhardt
Bernd Schirmer: Das leise Ticken der Sonnenuhr. Geschichten aus verflossener Zeit. Gransee: Edition Schwarzdruck 2019, 116 S., 14,- €