Der „Nordecker Judenmord“
Hintergründe zum Tode von Salomon und Johanna Wolf am 3. März 1884.
Ein Beitrag zur Familiengeschichte des Schriftstellers Friedrich Wolf (1888-1953)
von Stefan Gotthelf Hoffmann
Das Buch
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Der Autor
In der Nacht vom 2. auf den 3. März 1884 wurde das jüdische Ehepaar Salomon und Johanna Wolf im oberhessischen Dorf Nordeck brutal ermordet. Der mutmaßliche Täter Konrad Hedderich, ein hoch verschuldeter ehemaliger Schmied und Ackermann aus dem Nachbarort Roßberg, stand seit vielen Jahren in Geschäftsbeziehungen mit dem jüdischen Handelsmann Salomon Wolf. Er hatte durch Zwangsversteigerung seinen Hof an diesen verloren und gedroht, »der Wolf werde seine Strafe schon bekommen«. Warum aber wurde Hedderich trotz eindeutiger Befunde in dem Prozess vor dem Marburger Schwurgericht im Oktober 1884 freigesprochen, und zwar aus »Mangel an Beweisen«?
Stefan Gotthelf Hoffmann erinnert in seiner Studie »Der Nordecker Judenmord« an das tragische Ende des jüdischen Ehepaares Wolf. Er klärt über die Hintergründe des Mordfalls auf und ordnet die Tat in den historischen Kontext der aufkeimenden antisemitischen Bauernbewegung eines Otto Böckel in Hessen ein. Auch die Wahrnehmung des Verbrechens durch den berühmten Enkel, Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf, der seine Großeltern nie kennengelernt hat, wird im zweiten Teil der Studie untersucht. Ausgehend vom heutigen Kenntnisstand über den Prozess transgenerationaler Weitergabe traumatischer Erfahrungen in Familien wird die These vertreten, Friedrich Wolfs Denken und sozialpolitisches Handeln viel stärker aus dem Blickwinkel des erlittenen Nordecker Familientraumas zu verstehen. Diese neue Sicht auf Friedrich Wolf bietet auch die Chance, die »vererbten Wunden« aufzuspüren.
Woher kommt es, dass innerhalb der Großfamilie Wolf plötzlich einer da ist, aufsteht, seinen Mund aufmacht und ein Leben lang für eine gerechtere, sozialere, friedlichere, sprich: humanere Welt kämpft, bis zur völligen Erschöpfung, bis zur Selbstaufgabe, bis zum bitteren Tod? Wir können diesen Enkel Friedrich Wolf nur verstehen, wenn wir genau hinschauen, was damals mit seinen Vorfahren geschehen ist und wir nach und nach begreifen, welch unerträgliches Leid diese jüdische Familie Wolf aus dem hessischen Dorf Nordeck erfahren hat. Es gilt, den Menschen Friedrich Wolf in all seiner inneren Zerrissenheit, inneren Widersprüchen und Ambivalenzen zu begreifen. Friedrich Wolf: zwischen Trauma und Utopie, Verletzbarkeit und Resilienz, zwischen Tragik und Größe.
Aus dieser Dialektik kommen wir bei ihm nie heraus.
Stefan Gotthelf Hoffmann, geboren 1958 in Lüneburg, studierte Germanistik und evangelische Theologie an der Georg-August-Universität Göttingen; seit 1991 als Gymnasiallehrer tätig. Hoffmann beschäftigt sich seit 1986 intensiv mit Friedrich Wolf.