Friedrich Wolf 1953

Eine unvollständige Biographie rückwärts

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Das Buch verfolgt die letzten neun Monate im Leben des Dramatikers Friedrich Wolf, der 1953 starb. In diesen Monaten beendete der Dramatiker ein Bühnenstück über Thomas Müntzer, einen Roman über die psychologische Manipulierung in Amerika, er schrieb einen hymnischen Artikel anlässlich des Todes von Stalin, erlebte den Aufstand vom 17. Juni, kämpfte gegen falsche Entscheidungen auf dem Gebiet der Kultur und plante ein Poem über die in den USA zum Tode verurteilten Ethel und Julius Rosenberg. Ihm wurde in dieser Zeit sein jüngster, (siebenter) Sohn Thomas geboren. Dessen Mutter war eine junge Mitarbeiterin an der Palucca Schule in Dresden, – die letzte große Liebe Wolfs. Mit ihr korrespondierte er fast täglich. Ihr schrieb er seine Sorgen über bestimmte Entwicklungen in der DDR, aber auch seine Überzeugungen als Kommunist. Vor allem aber teilte er ihr seine Erfahrungen eines ereignisreichen Lebens mit: Als Arzt und Offizier war er im Ersten Weltkrieg gewesen, als Jude und Kommunist musste er 1933 Deutschland verlassen, war in sowjetischer und französischer Emigration und kam 1945 mit großen Hoffnungen nach Berlin zurück. Er war ein unkonventioneller Arzt und charismatischer Mann, ein »Feuerkopf« und unermüdlich Arbeitender.

Erkundungen – Entwürfe – Erfahrungen (1) • Berlin 2006 • 308 Seiten • 17×22 cm • ISBN 978-3-935194-19-8 • 23,50 Euro

Christel Berger, Literaturwissenschaftlerin, die einige Jahre in der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz gearbeitet hat, verfolgt die Wege und Entscheidungen Wolfs »rückwarts«: Beispielsweise von seinem Trauerartikel über Stalin aus sucht sie nach den vielfältigen Wurzeln, die Wolf mit der Sowjetunion verbanden und fragt nach Gründen, warum der so oft Empörte still gehalten hat, als viele seiner Genossen in die Lager kamen. Sie prüft Argumente, ohne zu endgültigen Antworten zu kommen. Sie beschreibt die Zwänge der Lebenszeit nicht nur von Friedrich Wolf. So wird das Buch mehr als eine Biographie eines in der DDR gerühmten Schriftstellers, es gerät zur Auseinandersetzung mit Haltungen und Thesen, die vielen Sozialisten eigen waren. Dabei gibt es keine Verdammungen, doch nicht immer gelingt ein Verständnis der Nachgeborenen.

Ulrich Gellermann in der »Rationalgalerie«: 


MIT LEIDENSCHAFT UND FAKTEN 


Die Frau weiß zu viel: Mit einer »unvollständigen Biographie rückwärts« über den Dramatiker Friedrich Wolf, legt Christel Berger eine Arbeit vor, die reich an Kenntnissen, üppig mit Zitaten bestückt und überquellend von Zuneigung zum Gegenstand ihres sorgsam edierten Buches ist. Eine versunkene Zeit erschreibt sie der neuen, schönen Welt. Das Jahr 1953 ist ihr Ausgangspunkt, das Jahr des 17-Juni-Aufstandes und das Todesjahr des Dramatikers. Ihre Bühne ist die DDR, ein Land, dessen historische Bedeutung im Vergessen haust, bestenfalls im fernsehgeeigneten Schwank oder als schauerliche, ausschließlich von der Staatssicherheit gestaltete Landschaft in den einschlägigen Medien überlebt. Friedrich Wolf hat schon lange keine Bühne mehr. Theaterstücke wie »Cyankali« und Filmproduktionen wie »Der Rat der Götter« fanden im Westen Deutschlands in den Sechzigern und den Siebzigern in der Linken ein leises, vom Wunsch die Geschichte der Revolution möge sich wiederholen, geprägtes Echo. Immerhin hatte im Kampf gegen den Paragraph 218, das strafbewehrte Verbot der Abtreibung, der Name Wolf einen guten Klang: Sein Engagement gegen den gleichen Paragraphen, den die West-Republik brav aus den Zwanziger Jahren übernommen hatte, trug ihm damals Gefängnis ein und machte den Mann später sogar für die westdeutsche Frauenbewegung interessant. Aber dann, hie und da mal ein Jahrestag, dann und wann eine Jubiläumsaufführung. Vielleicht ist es so, wie Christel Berger einen der Wolf-Söhne, den Filmemacher Konrad, zitiert: »Es kann doch sein, dass ein Autor, der sich politisch sehr engagiert hat, … seine Funktion erfüllt hat.« Bergers Rückblick auf Wolf und sein letztes Lebensjahr, von dem aus sie unbekümmert auf dessen Rolle in der Weimarer Republik und auf seine Emigrationszeit schaut, handelt, am Beispiel des Dichters, von der Moral der Revolutionäre. Was die Autorin immer noch umtreibt, ist das Schweigen der Überlebenden des sowjetischen Exils über das Schicksal der Genossen, die nicht wieder zurückkehrten. Das Verschweigen lag wie Mehltau auf den Gründungsjahren der DDR und der »gläubige« Kommunist Wolf, eigentlich ein Muster an Zivilcourage, hat »weggesehen, wenn er Unrecht nicht verhindern oder ändern konnte.« Es ist Bergers Verdienst, die Wolfsche Gläubigkeit an den Ausgangspunkt ihrer Biographie zu setzen und sie zugleich differenziert, als Teil einer großen politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West, zwischen Oben und Unten, für ihre Leser begreiflich zu machen. Denen da unten waren die Wolfschen Werke gewidmet, er war, und vielleicht ist er auch deshalb heute außer Mode, völlig parteilich. Nicht primär im Sinne einer Parteilinie, obwohl er auch der folgte, er sah in den kleinen Leuten nicht nur das Opfer der Großen, er begriff sie zugleich als eigentlichen Faktor gesellschaftlicher Veränderungen. So beschreibt ihn die Biographie in seiner Haltung zu Thomas Münzer. Sein Stück über den visionären Widerpart Luthers, wird zu Beginn seines letzten Lebensjahres fertig und Christel Berger sieht die Auseinandersetzung zwischen Münzer und Luther als eine Parabel auf die Auseinandersetzung zwischen den Opportunisten in der SED und dem oft aufbrausenden, antibürokratischen Friedrich Wolf. Der plädiert mit seinem Münzer-Stück für die deutsche Einheit „von unten“, eine Einheit, vor der es damals den regierungsoffiziellen Westen grauste, um dann später den amtlichen Osten zu grausen: Die deutsche Einheit infolge der Niederlage des Sozialismus hätte sich der Dramatiker kaum vorstellen können. Immer wieder zeigt uns die Autorin den Dramatiker als einen, der sich bei der Obrigkeit seiner Partei über den Gehalt seiner Stücke versicherte, bei Leuten, die „weniger gebildet waren“. Und auf der anderen Seite als einen unerschrockenen Menschen, der sich in einem Brief an Stalin über eine Zurücksetzung beschwert und unter anderem die Frage aufwirft „Ist es, weil ich Jude bin?“ Der in den Ärzteprozessen zu Tage getretene sowjetische Antisemitismus, die Denunziererei jener Zeit, die „Säuberungen“, das alles tut der Berger noch heute weh, wenn sie über Protokolle einer Sitzung der KPD-Gruppe im Moskauer Exil schreibt: „All das … macht für jeden, der mit der sozialistischen Idee sympathisiert, die Lektüre zur geistigen Folter.“ Genau diese Haltung macht die Arbeit der Autorin besonders wertvoll: Sie nimmt das gute fünfzig Jahre zurückliegende Geschehen persönlich. Das gilt auch für den immer noch mit Sentiments aller Art aufgeladenen 17. Juni 1953. Ein ganzes Kapitel ist dem Aufstand und der Haltung von Wolf und anderen in dieser Zeit gewidmet. Kühl nennt die Autorin die Gründe für die Revolte: Drastische Lohneinschränkungen für die Arbeiter durch eine Normenerhöhung, mangelnde Versorgung der Bevölkerung, die abrupte Kollektivierung der Landwirtschaft und der rigide Umgang mit der Kirche. Sie sieht den Auslöser in einer falschen Politik und fragt Wolf, der den Aufstand als faschistisch begreift, wo der denn sein „Vertrauen in die Kraft und die Weisheit des Volks“ gelassen hat, die er doch in seinen Stücken immer wieder propagiert hatte. Zugleich erinnert sie an die Verhältnisse jener Zeit, daran, dass Krieg und Verfolgung nur wenige Jahre vorbei waren, dass der heiße sich in einen kalten Krieg gewandelt hatte und dass jene, die aus Exil und Gefängnis kommend, die DDR versuchten aufzubauen, dies kaum um eines persönlichen Vorteils willen unternahmen. Wolf war das, was wir heute einen Womanizer nennen würden, einer, der viele Frauen liebte und den viele Frauen liebten. Diese scheinbar private Seite des Dramatikers gibt der Autorin Gelegenheit, der Else Wolf, der Frau des Schriftstellers, ein zartes kleines Denkmal zu setzen. Ziemlich außerhalb unseres heutigen Verständnisses kümmert sich Else nicht nur um die eigenen Kinder, sondern auch die, die Wolf zur linken Hand gezeugt hat. Auch die jeweiligen Geliebten Wolfs finden in Else eine Freundin, mit der sie ihre Sorgen teilen können, so wie die wenig beneidenswerte Frau ihren Mann mit immer neuen Herzensdamen teilen muss. So wissenschaftlich und faktenreich das Buch auch angelegt ist, so sehr kann sich Berger mit ihrem Protagonisten ärgern oder auch über ihn, wenn sie zum Beispiel einen sarkastischen Text Wolfs kritisiert, der sich mit der Bürokratie, dem Sitzungsunwesen und dem Wunsch von DDR-Jugendlichen nach Tanzunterricht auseinandersetzt. Über ganze Absätze schimpft sie den Text als „Lappalie“, rätselt über seine wahre Bedeutung und fragt sich, ob Wolf denn, „wenige Monate nach dem 17. Juni“ nichts Wichtigeres zu tuen hätte. Manchmal geht der geflügelte Gaul so heftig mit ihr durch, dass sie in nur einem Absatz drei Ausrufezeichen unterbringt. Den Tod des Dramatikers spiegelt die Autorin auch mit Artikeln aus den Zeitungen der Bundesrepublik. Über den Tod hinaus wird der Dichter als „Altkommunist, dessen Unterschrift vor 1933 auf keinem radikalen Aufruf gefehlt hatte“ denunziert. Es werden auch diese oder jene Aufrufe gegen die Hitlerei dabei gewesen sein. Über einen möglichen Selbstmord spekuliert eine andere Medienfraktion: „Wolf hat das System durchschaut, aber nicht die Kraft gefunden mit ihm zu brechen.“ Diese Methode, Schriftsteller entweder als Parteischreiber oder als Dissidenten darzustellen, sollte die DDR-Autoren bis zum Ende ihres Landes begleiten. Zuweilen war es, wie im Fall Wolf, die selbe Person, die mit beiden Rollen bedacht wurde. Mit „Friedrich Wolf 1953“ ist der Autorin ein Buch gelungen, das einen analytischen Blick auf die fünfziger Jahre der DDR ermöglicht und so mehr als eine Biographie ist. Mit Leidenschaft sucht Berger im Leben des Dramatikers die Schwächen und Fehler der jungen DDR und findet einen Menschen und ein Land, die es immerhin versucht haben ein anderes, ein besseres Deutschland aufzubauen. 

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